Transcription of Original
Mein Name ist Till Broenner. Ich bin 49 Jahre alt und ich bin Musiker und Fotograf. Sowas wie heute habe ich noch nie gemacht. Muss daran liegen, dass ich ziemlich sauer bin.
Seit Monaten schaue ich mir jetzt nicht nur an wie eine gesamte Branche nicht nur lahm durch Corona gelegt wird, sondern erlebe auch, wie auffaellig verhalten und gerade zu ueberforsichtig Buehnekuenstler sich auch nach 8 Monaten sich zu dieser Misere aeussern obwohl ihre Existenz gerade fundamental auf dem Spiel steht. Ich halte diese Zurueckhaltung aus unseren eigenen Reihen fuer fatal da sie ein voellig falsches Bild der dramatischen Lage zeichnet in der sich unser Berufszweig aktuell befindet. Und ich denke es ist die Zeit mal klarzustellen worueber wir gerade sprechen denn es geht nicht um Selbstverwirklicher, die in ihrer Eitelkeit gekraenkt sind. Es geht um uns alle. Und, es geht um Geld. Viel Geld.
Ich bin Kuenstler aber ich bin auch Arbeitgeber, Famielenvater, und Leistungstraeger einer Nation, die sich auch selbst gerne das Land der Dichter und Denker nennt. Ich konzertiere seit vielen Jahren weltweit, und empfinde mich zusammen mit vielen deutschen Kollegen als Botschafter eines Landes, dass seit hunderten von Jahren als Mutterland und Vorreiter vieler Kuenstler angesehen und verehrt wird. Vor diesem Hintergrund ist es umso skandaloeser welch unwirklichen Schauspiel wir beiwohnen muessen.
Zu sehen wie unser Wirtschaft seit Ausbruch Pandemie Ende Februar reflexartig in systemrelevante und systemirrelevante Berufe unterteilt wurde habe ich zunaechst fuer eine reine Sicherheitsmassnahme gehalten. Safety first, ist doch klar, jetzt muss erstmal das Virus untersucht werden. Als dann klar wurde das Corona uns wesentlich laenger ein Atem halten wurde dachte ich, Na ja, gib den da oben in der Politik ein bisschen Zeit, die koennen ja auch nichts zaubern. Ein Land wie Deutschland wuerde uns schon nicht haengen lassen. Wir haben uns ja schliesslich auch alle ausgebildet, und uns eine Steuernummer verpasst.
Dann kam der Sommer. Und wenn ich ehrlich bin, bekam ich genau so viele Urlaubsfotos und Karten wie immer, von Leuten ausserhalb der Branche. Der Spass und die Leichtigkeit schienen also zurueck zu sein. Gleichzeitig landeten schon die ersten Anrufen von Kollegen bei mir die sich alle so vorsichtig erkuendigen wollten ob es bei mir auch so mau aussaehe wie bei ihnen. Ich spreche von Musikern, Toningineuren, Lichttechnikern, Caterern, Buehnenbauern, Busfahrern, Beschallungsfirmen, Clubbesitzern, Agenturen und lokalen Hallenbetriebern. Die Liste alleine in meinem persoenlichen Umfeld ist also sehr, sehr lang. Ich spreche von hunderten qualifizierten Menschen, studiert, und nur in meinem Dunstkreis. Und hochgerechnet sind wir viele, sehr sehr viele.
Um genau zu sein, so viele, dass der Vergleich mit den groessten Branchen, wie zum Beispiel die Autoindustrie Verzeihung deshalb hingt weil wir mehr als doppel so viele sind, naemlich weit ueber 1,5 Millionen Menschen deren Broterwerb am Tag 1 der Pandemie nachvollziehbarerweise abgeschaltet wurde. Ein Wirtschaftszweig mit einem Gesamtumsatz von, bitte festhalten, ueber 130 Milliarden Euro. Richtig gehoert. 130 Milliarden. Das ist kein Luxusproblem, das ist ein Kernproblem.
Und damit hier kein Misverstaendniss aufkommt, wir alle wollen uns schuetzen und geschuetzt werden vor diesem verdammten Virus. Aber wenn ein gesamter Berufszweig per Gesetz gezwungen wird, seine Arbeit zum Schuetze der Allgemeinheit ruhen zu lassen, dann muss die Allgemeinheit dafuer sorgen, dass diese Menschen nach Corona noch da sind. Oder was habe ich uebersehen? Wie kann man einzelne Konzernen Milliarden Vorgarten werfen und der Veranstaltungsbranche Arbeitslosengeld II anbieten? Wir Musikkuenstler sind weder arbeitslos noch hatten wir vor Corona ein Nachfrageproblem, wie so einige andere Branchen, uebrigens, die in Wahrheit nicht an Corona, sondern durch Schlaefrigkeit oder Gier in schief Lage geraten sind. Und wer wuerde nur am Ansatz anzweifeln, dass die Menschen nach Corona nicht ins Konzert gehen? Oder ins Theater? Oder in ein Arena? Es gibt das was zu feiern wenn der ganze Mist vorbei ist!
Ich denke uebrigens, man hat es nicht uebersehen, im Gegenteil, aber wir in der Veranstaltungs und Kulturbranche sind noch immer zu leise weil wir keine ernstzunehmende Gewerkschaft haben. Und genau das recht sich jetzt. Wer ist es der der Politik stellvertretend im Nacken sitzt wie der Logfuehrergewerksschaftsboss Klaus [Wiselski?] der Deutschen Bahn? Und das mit nur circa 9000 Mitgliedern. Wie waere es wenn einfach mal drei Tage der Ton abgedreht oder das Radio keine Musik spielen wuerde? Hier muessen wir auch in der Zukuenft ganz klar unserer Hausaufgaben machen als Kuenstler und vielleicht beginnen, Mitgliedsbeitraege zu bezahlen, auch wenn das vielleicht unkuenstlerisch oder uncool ist. Aber es geht um berechtigkeit, um 130 Milliarden Umsatz, und um viele, viele Menschen. Wir sind keine Minderheit.
Der Schrei nach der Kulturstaatsministerin ist zunaechst nachvollziehbar gewesen, trifft in meinen Augen aber nicht den Kern unseres Anliegens. Unsere Ansprache gilt in Wirtschaffts, Arbeits, und Finanzministerium. In Deutschland leben 83 Millionen Menschen. Die Hauptsteuerlast liegt aber nur bei 16,5 Millionen Menschen. 1,5 Million davon sind wir, und wir liegen damit auf Platz 2 der Beschaeftigtenzahlen. Und bis heute gibt es kein funktionierendes Hilfsprogramm das diese Tatsache ernsthaft Rechnung truege.
Was hier gerade passiert verstosst gegen alles was ich ueber Deutschland gelernt habe, und wofuer wir unseren demokratischen Selbstverstaendnissen stehen. Liebe Politiker, lasst euch waehlen, ja, aber vergesst bitte nicht von wem. Das Land steht kulturell still, und die beweglichsten und ehrlichsten tretet ihr gerade mit Fuessen – wenn ihr nicht handelt. Sonst heisst bona note, Licht aus, und genau dazu darf es aus meiner Sicht nicht kommen. Nehmen wir uns und unseren Errungenschaften ernst damit wir den Glauben an unser erfolgreiches, pluralistisches System behalten. Genau das ist naemlich in Gefahr wenn Kultur nicht mehr frei arbeiten und frei wirtschaften kann. Mag sein dass wir jetzt die einzigen waeren die Kultur auf die Agenda setzen, ja gut! Dann setzen wir damit ja endlich mal wieder einen Impuls. Kultur ist kein Luxus, sondern ein Menschenrecht, und spuert, man hoere und staune, Geld in die Kassen des Staates. Und genau das wuessten Politiker auch schon waehrend der Antike ziemlich genau. Es heisst jetzt aufwachen und zeigen, dass wir verstanden haben.
Danke schoen.
English Translation
My name is Till Broenner. I’m a 49 year old musician and photographer. I’ve never done something like this. Must be because I’m pretty upset.
For months I’ve watched not only an entire industry be crippled by Corona, but also how conspicuously cautiously and carefully stage artists are reacting to their plight, even after eight months, and despite the fact that their very existence is on the line. I consider this reticence within our own ranks fatal, as it presents absolutely the wrong picture of the critical situation in which our sector finds itself. And I think it’s finally time to clarify what we’re talking about here, because it isn’t about the vain chasing self-fulfillment. This is about all of us. And it’s about money. Lots of money.
I’m an artist, but I’m also an employer, father, and service provider in a country which likes to call itself the land of poets and thinkers. For many years I’ve played concerts around the world, and consider myself and my many German colleagues ambassadors of a nation seen and respected for hundreds of years as a motherland of artistic pioneers. Against this backdrop, the spectacle we’re witnessing is even more scandalizing.
Since the outbreak in February I’ve watched our economy be reflexively divided up into essential and nonessential services, and I initially considered it a safety measure. Safety first, of course; the virus first has to be studied. As it became clear the virus would keep us busy a little longer, I thought, oh well, give the politicians a bit more time, they aren’t miracle workers. A country like Germany wouldn’t leave us out to dry; we’re skilled labor, after all, we pay our taxes.
Then came summer, and if I’m honest, I got just as many vacation photos and postcards as ever from people outside the industry. Fun and levity seemed to be back. At the same time came the first phone calls from colleagues, asking cautiously if business was a slack for me as it was for them. I’m talking about musicians, sound engineers, light engineers, caterers, set and stage designers, bus drivers, sound system companies, club owners, talent and tour agencies, and venue managers. Even just in my personal circle, the list is very, very long. I’m talking about hundreds of qualified people, trained and educated, just in my orbit. Extrapolated, we are many. Very many.
So many, to be exact, that comparisons with even the biggest sectors like the auto industry don’t follow, with respect, because we’re twice as many – many more than one and a half million, whose income streams were on day one of the pandemic understandably turned off. This is an industry with a total revenue of – are you sitting down? – 130 billion euros. You heard me right. 130 billion. That’s not a luxury problem, that’s a central problem.
Don’t get me wrong, we all want to protect ourselves and be protected from this damn virus. But when an entire sector is legally obliged to cease operations for the protection of the general populace, then the general populace should see to it that these professionals are still there after Corona. Or did I miss something? How can single corporations get billions of euros dumped at their doors while the entire entertainment industry goes on unemployment? We aren’t unemployed, nor did we have a demand problem before Corona, unlike some other industries, by the way, which not thanks to Corona but by drowsiness or greed ended up in dire straits. And is there any doubt that people are going to go to concerts post-Corona? Or to the theater? Or to arenas? There will surely be something to celebrate when this whole mess is over!
I think, by the way, that we’re still so silent in the culture and events sectors because we have no serious union, and I think that’s by design. And I think we’re reaping what we’ve sown there. Who’s breathing down politicians’s necks like Deutsche Bahn’s engineer union boss Klaus Weselsky? (And he with only around 9000 union members!) What if there were no music on the radio for three days? We have to do our part as artists in the future and start paying union membership dues, unartistic and unsexy as it may be. We’re talking about justice, about 130 billion euros, and many, many people. We aren’t a minority.
The cries for the culture minister were understandable at first, but don’t really get to the heart of our concern, in my opinion. Our appeal should rather be with the Departments of Commerce, Employment, and the Treasury. There are 83 million people living in Germany. 16.5 million of these carry the main tax burden. And 1.5 million of those are us, landing us at number two by employment number. And as of today there is still no aid program that accounts for this.
What’s happening here contradicts everything I’ve learned about Germany, everything for which our democratic self-image stands. Dear politicians, please don’t forget whose votes you’re asking for. The country is at a cultural standstill, and you’re kicking your most flexible constituents if you don’t act. Otherwise, it’s “buona notte,” light’s out, and in my view it can’t come to that. Take us and our achievements seriously so we don’t lose our faith in our successful, pluralistic system. That’s what’s at stake if culture isn’t allowed to work and operate. This could make us the only country putting culture on the agenda – so be it! Maybe then we’d finally be setting an example again. Culture isn’t a luxury, it’s a basic right, and lo and behold, even puts money into the system’s coffers. Politicians back in Antiquity knew that well. Let’s wake up and show that we know it, too.
Thank you.